Wirtschaft

Union debattiert heftig über europäischen Mindestlohn

Ein Vorstoß eines einflussreichen Abgeordneten sorgt für Entsetzen – „Gift für unseren Wahlkampf“
Warnende Worte: Der Europaabgeordnete Sven Schulze (CDU) sieht in dem Vorstoß von Dennis Radtke die Wahlchancen von CDU und CSU gefährdet. dpa

hmk. BRÜSSEL. Die Christdemokraten im Europaparlament waren nie begeistert von dem Vorstoß von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für einen europäischen Mindestlohn. Aber da von der Leyen eine der ihren ist und der Vorschlag im Herbst zumindest hinter den schlimmsten Befürchtungen zurückblieb, fiel die Kritik leise aus. Nun aber hat der Abgeordnete Dennis Radtke, ebenfalls aus den Reihen der CDU, das Ziel ausgerufen, den Mindestlohn-Vorschlag im Europäischen Parlament (EP) spürbar „nachzuschärfen“ – und das zu Beginn des Bundestagswahlkampfes. Im Tandem mit der niederländischen Sozialdemokratin Agnes Jongerius will er hohe Ziele für die Tarifbindung und Untergrenzen für den Mindestlohn festzurren. Als sogenannte Berichterstatter haben die beiden großen Einfluss. Viele von Radtkes Parteikollegen sind schlicht entsetzt.

Der Europaabgeordnete und neue Landesvorsitzende der CDU Sachsen-Anhalt, Sven Schulze, warnt die Mitglieder der deutschen Christdemokraten in einer E-Mail, dass Radtkes Ideen die Wahlchancen von CDU und CSU gefährdeten. Sie seien „Gift für unseren Wahlkampf, für die Wirtschaft und für die Beschäftigung“, schreibt Schulze. „Die Haltung führt aus meiner Sicht schnell zu einem Glaubwürdigkeitsproblem im Bundestagswahlkampf, da man uns hier sehr leicht vorwerfen kann, dass die Grundprinzipien der Union für die CDU/CSU-Gruppe im EP keine Gültigkeit haben“, heißt es in der auch an mehrere Bundestagsabgeordnete gerichteten E-Mail. In Sachsen-Anhalt wird zudem im Juni ein neuer Landtag gewählt.

Auch die Mittelstands- und Wirtschaftsunion übt heftige Kritik. Der Kommissionsvorschlag und erst recht der Ansatz von Radtke verletzten die Tarifautonomie und schadeten dem Mittelstand, betont ihr Bundesvorsitzender Carsten Linnemann. Markus Pieper, Sprecher des Parlamentskreises Mittelstand im EU-Parlament, fühlt sich „an die Gewerkschaftskämpfe der achtziger Jahre“ erinnert. Radtke und Jongerius wollen vorschreiben, dass Mindestlöhne als unangemessen gelten sollen, wenn sie nicht mehr als 60 Prozent des Bruttomedianlohns und 50 Prozent des Bruttodurchschnittslohn betragen. Nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft würde das für Deutschland einen Mindestlohn von 12,50 Euro bedeuten. „Das ist nicht nur eine Kompetenzüberschreitung der EU, sondern für unseren Bundestagswahlkampf schlichtweg nicht argumentierbar“, schreibt Schulze.

Allerdings sollen die EU-Vorgaben zum Mindestlohn für die Staaten nur eine Empfehlung sein, also bedingt verpflichtend. Anders sieht es in der Tarifpolitik aus. Hier soll der Gesetzgeber nach dem Willen Radtkes ein Programm zur Erhöhung der Tarifbindung vorlegen, wenn sie unter 90 Prozent liegt. Diese Quote erfüllten weniger als eine Handvoll EU-Staaten, die alle Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärten wie Frankreich oder eine Zwangsmitgliedschaft auf Arbeitgeberseite hätten wie Österreich, sagt Schulze, der wie Radtke Mitglied der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft ist. „Was das für unsere Tarifautonomie und die verfassungsrechtlich geschützte Koalitionsfreiheit bedeutet, muss ich nicht näher erläutern.“

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