Strom, Gas, Nahverkehr, Flüchtlinge Was Bund und Länder beschlossen haben

Berlin · Diese Ministerpräsidentenkonferenz war angesichts eines Staus an Entscheidungen mit Spannung erwartet worden. Der Druck war im Vorfeld groß, Entlastungen angesichts der stark gestiegenen Energiekosten auf den Weg zu bringen. Ein Überblick, welche Kompromisse Bund und Länder gefunden haben.

Bundeskanzler Olaf Scholz (r, SPD), Stephan Weil (l, SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, und Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, nach den Verhandlungen in Berlin.

Bundeskanzler Olaf Scholz (r, SPD), Stephan Weil (l, SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen, und Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, nach den Verhandlungen in Berlin.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und die Regierungschefs der Länder haben sich am Mittwoch in Berlin angesichts drastisch gestiegener Preise infolge des russischen Angriffskriegs in der Ukraine auf eine Reihe an Entlastungen für private Haushalte und Unternehmen geeinigt. Scholz betonte nach dem Treffen im Kanzleramt den Zusammenhalt von Bund und Ländern im Kampf gegen die Folgen des russischen Kriegs in der Ukraine. „Wir haken uns unter und wir lösen die Probleme unseres Landes gemeinsam“, sagte der SPD-Politiker. Die Verständigung zur Finanzierung von Entlastungsmaßnahmen sei sehr sorgfältig vorbereitet und dann zügig gefunden worden.

Hier ein Überblick, welche Kompromisse Bund und Länder bei ihren Beratungen gefunden haben:

Gaspreisbremse

Die Gaspreisbremse soll zum 1. März 2023 eingeführt werden. „Eine Rückwirkung zum 1. Februar 2023 wird angestrebt“, heißt es in dem Beschlusspapier. Die Gaspreisbremse soll bis April 2024 gelten und für Gas und Fernwärme wirken. Die regelmäßige monatliche Entlastung soll sich an 80 Prozent des Vorjahresverbrauchs bemessen. Als Vorjahresverbrauch gelte die Jahresverbrauchsprognose, die der Abschlags­zahlung für den September 2022 zugrunde gelegt wurde. Der Gaspreis werde für diesen Verbrauch auf zwölf Cent pro Kilowattstunde gedeckelt. Bei der Wärme auf 9,5 Cent pro Kilowatt­stunde. Der Verbrauch jenseits des Kontingents von 80 Prozent ist zu den derzeit sehr hohen Marktpreisen zu bezahlen, daher sehen Bund und Länder einen Einsparanreiz. Neben der Gaspreisbremse hat das Bundeskabinett an diesem Mittwoch bereits die Einmalzahlung für Dezember auf den Weg gebracht, mit der Gas- und Fernwärmekunden entlastet werden sollen. Wer über ein hohes Einkommen verfügt und derzeit noch verpflichtet ist, den Soli zu zahlen, soll im Rahmen der Einkommensteuer auch die Zuwendungen aus der Gaspreisbremse versteuern müssen.

Härtefallregelungen

Zwölf Milliarden Euro will der Bund für Haushalte, kleine und mittlere Unternehmen und soziale Einrichtungen sowie Krankenhäuser zur Verfügung stellen, um sie bei individuellen Härtefällen unterstützten zu können. Darüber hatte es längere Diskussionen in den Beratungen gegeben. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) betonte, dass noch eine Vereinbarung fehle, wer den Härtefallfonds für kleine und mittlere Unternehmen bezahle. Der Bund erklärte sich bereit, dafür eine Milliarde Euro zur Verfügung zu stellen, wenn Antragstellung und Abwicklung der Härtefallregelung für die Firmen über die Länder erfolgt. Nun sollen die Fachminister von Bund und Ländern die Details klären. Auch Mieter und Hauseigentümer, die mit Öl oder Holzpellets heizen, sollen in besonders schweren Fällen Unterstützung erhalten. Details dazu fehlen im Beschlusspapier.

Strompreisbremse

Die Strompreisbremse soll zum 1. Januar 2023 entlastend wirken. Mit ihr sollen die gestiegenen Strompreise bei Haushalten und Unternehmen abgefedert werden. Der Strompreis soll dabei bei 40 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt werden. Die Strommenge für diese Entlastung orientiert sich dabei ebenfalls an einem Grundkontingent in Höhe von 80 Prozent der Jahresverbrauchsprognose, die der Abschlagszahlung für den September 2022 zugrunde gelegt wurde. Zur Finanzierung der Entlastungen sollen Zufallsgewinne bei der Strom­erzeugung sowie bei Gas-, Öl- und Kohle­unter­nehmen sowie Raffinerien abgeschöpft werden. Aus Sicht der Energiebranche ist die Umsetzung zum Januar jedoch nicht zu halten.

Nahverkehr

Bund und Länder haben sich auf eine Nachfolge für das Neun-Euro-Ticket im Nahverkehr geeinigt. Das bundesweit gültige „Deutschlandticket“ soll 49 Euro kosten und „so schnell wie möglich“ eingeführt werden, sagte Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) nach den Bund-Länder-Gesprächen. Beide Seiten stellen demnach zur Finanzierung jeweils 1,5 Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung. Zudem stellt der Bund eine Milliarde Euro jährlich an Regionalisierungsmitteln bereit. Die Union warnte vor der Benachteiligung vieler Bürger. Fraktionsvize Ulrich Lange sagte, das Vorhaben sei grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings werde es zu einer „doppelten Zweiklassengesellschaft“ führen. „Das 49-Euro Ticket ist erstens nur digital verfügbar, was weniger digital-affine und damit tendenziell ältere Menschen von der Nutzung ausschließt.“ Zweitens komme es „vor allem Personen in der Stadt zu Gute, auf dem Land hingegen droht aufgrund von finanziellen Engpässen die Abbestellung des Schienenpersonennahverkehrs“, so der Verkehrsexperte. Lange betonte weiter: „Dies trägt nicht zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse bei.“

Krankenhaus-Hilfen

Die angekündigten Milliardenhilfen für die Kliniken sollen nach Angaben von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach „sehr schnell“ kommen. „Es wird kein Krankenhaus in unmittelbare Not geraten auf der Grundlage gestiegener Energiepreise. Das kann ich ausschließen“, sagte der SPD-Politiker. Allein acht Milliarden Euro aus dem Zwölf-Milliarden-Budget für Härtefälle sollen Krankenhäusern, Universitätskliniken und Pflegeeinrichtungen zugutekommen. Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hat die Bundesregierung jedoch aufgefordert, die beschlossenen Energiepreisbremsen auf den gesamten Jahresverbrauch der zu Hause betreuten Pflegebedürftigen anzuwenden. Bund und Länder hatten sich auf ein Kontingent von 80 Prozent geeinigt. „Für die Pflegebedürftigen und Kranken daheim sieht die Bundesregierung keine zusätzlichen finanziellen Hilfen über die Gas- und Strompreisbremse hinaus vor“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch unserer Redaktion.

„Die Ampel-Koalition hat dafür zu sorgen, dass die Energiepreisbremse für den gesamten Jahresverbrauch der zu Hause versorgten drei Millionen Pflegebedürftigen gilt“, forderte Brysch.

Auch die Hausärzte beklagten eine Benachteiligung der Arztpraxen. „Während die Politik bei den Krankenhäusern die Geldkasse weit aufmacht und ihnen mit Milliardenhilfen unter die Arme greift, um die steigenden Energiekosten zu stemmen, dürfen die Arztpraxen selbst zusehen, wie sie über die Runden kommen“, sagte die Vizevorsitzende des Deutschen Hausärzteverbands, Nicola Buhlinger-Göpfarth, unserer Redaktion. „Der einseitige Fokus der Politik auf die Krankenhäuser wird langsam zur ernsthaften Gefahr für die Sicherstellung der Versorgung. Die Gesundheitsversorgung besteht nicht nur aus den Krankenhäusern. Ohne die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte geht in unserem Land nichts“, mahnte Buhlinger-Göpfarth an.

Flüchtlinge

Auch die Flüchtlingskosten spielten bei den Bund-Länder-Beratungen eine Rolle. Im Beschlusspapier heißt es, der Bund werde den Ländern für ihre Ausgaben für die Geflüchteten aus der Ukraine im Jahr 2023 einen Betrag von 1,5 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Für Flüchtlinge aus anderen Staaten kommen ab 2023 pro Jahr 1,25 Milliarden Euro hinzu.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat darauf gedrungen, dass die Mittel des Bundes an die Kommunen weitergegeben werden. „Es muss sichergestellt werden, dass die Länder dieses Geld auch wirklich an die Kommunen weitergeben. Vor Ort in den Kommunen entstehen die Kosten für Unterbringung, Versorgung und Integration der nach Deutschland geflüchteten Menschen. Wir hätten uns natürlich zusätzlich ein deutliches Bekenntnis der Länder erhofft, dass sie ihre Erstaufnahmeeinrichtungen massiv ausweiten“, sagte Landsberg. „Russland attackiert weiter die Infrastruktur in der Ukraine. Es ist daher wahrscheinlich, dass die Zahl der Geflüchteten zunehmen wird.“ Die Kommunen seien bereits jetzt an der Grenze ihrer Unterbringungsmöglichkeiten. „Deswegen brauchen wir von den Ländern deutlich mehr Kapazitäten in Erstaufnahmeeinrichtungen und Sammelunterkünften, damit die Menschen im Winter ein Dach über dem Kopf haben“, sagte Landsberg. Er begrüßte die übrigen Beschlüsse etwa zu den Energiepreisbremsen und dem sogenannten Deutschlandticket als positive Signale für die Menschen und die Wirtschaft. „Damit zeigt die Politik in der Krise ihre Handlungsfähigkeit“, sagte Landsberg.

Wohngeld

Bund und Länder teilen sich die Kosten für die geplante Reform des Wohngelds. Es bleibe dabei, dass die staatliche Hilfe für Geringverdiener zur Hälfte von den Ländern finanziert werde, heißt es im Beschluss.

Reaktion der Opposition

Die Union rechnet trotz der Beschlüsse der Ministerpräsidenten und des Bundeskanzlers mit Wohlstandsverlusten. Der Parlamentsgeschäftsführer der Fraktion, Thorsten Frei (CDU), sagte unserer Redaktion: „Es ist sehr bedauerlich, dass die Winterlücke bei der Gaspreisbremse nicht geschlossen wurde.“ Frei ergänzte: „Die Zögerlichkeit der Ampel bezahlen die Bürger nun mit großem Wohlstandsverlust, und viele Unternehmen sind von der Insolvenz bedroht.“ Die Union habe bereits vor Monaten eine Gaspreisbremse gefordert. „Die Ampel hat damals der CDU/CSU Populismus vorgeworfen. Nun wird unser Vorschlag fast identisch umgesetzt. Da ist zu viel Zeit verplempert worden“, kritisierte Frei.

Auch könne die Einführung des 49-Euro-Tickets nicht das Ende der Überlegungen sein. Menschen, die im ländlichen Raum lebten, dürften nicht vergessen werden. „Was nützt ein Fahrschein, den am Ende alle bezahlen, wenn nur selten mal ein Bus vorbeikommt? Hier muss die Ampel schnell Antworten liefern“, sagte Frei.

Auch die Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT), Gitta Connemann (CDU), übte scharfe Kritik an den Beschlüssen von Bund und Ländern. Connemann sagte, Deutschland verliere weiter den Anschluss. „Die MPK stemmt sich dagegen. Aber sie kann den Abstieg Deutschlands nicht verhindern. Dafür müsste sie die Ampel stoppen.“ Die Bundesregierung doktere an Symptomen, bekämpfe aber nicht die Ursachen der Rezession, so Connemann. „Inflationstreiber Nummer 1 bleiben die Energiekosten. Je größer das Angebot, desto niedriger wären die Preise. Aber die Ampel macht keine Vorschläge für eine Ausweitung des Energieangebots.“ Eine Winterlücke sei dadurch programmiert. Für viele Betriebe komme darüber hinaus der rückwirkende Deckel zum Februar zu spät.

Mit Blick auf das 49-Euro-Ticket sagte die MIT-Vorsitzende: „Pendler und Familien auf dem Land sind weiter auf das Auto angewiesen.“ Effektiver sei, wieder KfW-Programme für energetischen Bau und Sanierung von Gebäuden zu starten. „Das reduziert den Verbrauch, schont das Klima und hilft der Bauwirtschaft.“

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