Wie die EU den deutschen Mittelstand gefährdet

Datum des Artikels 04.05.2022
MittelstandsMagazin

Die Pandemie-Folgen sind noch nicht verdaut, da erschüttert der Ukraine-Krieg Europa. Weltweit liegen Lieferketten brach, Millionen Betriebe und Bürger fürchten um ihre Existenz. Ausgerechnet jetzt treibt die Europäische Union Dutzende Belastungen voran.


Krieg, Corona, Inflation: Die europäische Wirtschaft schlittert nach Ansicht vieler Ökonomen in eine Rezession. Die Weltbank, der Internationale Währungsfonds und die deutschen Wirtschaftsweisen haben ihre Wachstumsprognosen bereits kräftig nach unten korrigiert. „Durch den Krieg werden die wegen der Corona-Pandemie bereits angespannten Lieferketten zusätzlich beeinträchtigt. Gleichzeitig belasten die nochmals kräftig gestiegenen Preise für Erdgas und Erdöl die Unternehmen und den privaten Konsum“, erklärt der Wirtschaftsweise Achim Truger.

MIT legt „EU-Giftliste“ vor

Doch statt die Wirtschaft in dieser Phase zu entlasten, hagelt es aus Brüssel neue Richtlinien, Gesetze und Verordnungen. Lieferkettengesetz, CSR-Richtlinie (Corporate Sustainability Reporting Directive) und Taxonomie sind nur drei von insgesamt 47 geplanten EU-Regulierungen, die die MIT in einer „Giftliste“ zusammengetragen hat. Doch wie diese Vorhaben praktisch angewendet werden sollen, daran scheint in Brüssel kaum jemand zu denken. Die EU lässt ihre gesamte Regulierungswut am Mittelstand aus. Das führt dazu, dass wertvolle Zeit und Ressourcen für Dokumentations und Berichtspflichten in Anspruch genommen werden. Vor allem kleine Unternehmen können diese schlicht nicht aufbringen.

EU-Lieferkettengesetz bringt Bürokratie

Das wird besonders am Beispiel der Lieferketten deutlich: Ein mittelständisches Unternehmen des Maschinenbaus stellt komplexe Produkte her und hat häufig mehrere Hundert Lieferanten aus der gesamten Welt. Ein Auto setzt sich beispielsweise aus rund 10.000 Einzelteilen zusammen. Diese bestehen wiederum aus unterschiedlichsten Materialien. Wenn es nach dem geplanten EU-Lieferkettengesetz geht, sollen Unternehmen für jedes einzelne dieser Teile die gesamte Lieferkette offenlegen und kontrollieren. Jeder Zulieferer bis hin zum Rohstoff muss vorgegebene Sorgfaltspflichten erfüllen. So enthält der Vorschlag zum Lieferkettengesetz weitreichende Regelungen zu Sorgfaltspflichten, die sich vom Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette erstrecken. Dies schließt auch Pflichten von Mitgliedern der Geschäftsleitung ein. Neben behördlichen Sanktionen bei Verstößen gegen Menschen- und Umweltrechte ist dabei auch eine zivilrechtliche Haftung vorgesehen.

14.000 deutsche Betriebe betroffen

„Der Vorschlag der Europäischen Kommission übertrifft die Befürchtungen“, stellt der CDU-Europaabgeordnete und Sprecher des Parlamentskreises Mittelstand Europe (PKM Europe), Markus Pieper, fest. „Mit seinem Anwendungsbereich für Betriebe mit mehr als 500 Mitarbeitern, beziehungsweise 250 Beschäftigen in Hochrisikosektoren, geht der Vorschlag weit über den Betroffenenkreis des deutschen Sorgfaltspflichtengesetzes hinaus. Zusätzlich zu den ab 2024 vom deutschen Lieferkettengesetz betroffenen 2.900 Betrieben müssen nunmehr potentiell bis zu 14.000 Betriebe in Deutschland ihre Betroffenheit prüfen und für ihre gesamte Wertschöpfungskette Rechenschaft ablegen.“ Die Dokumentations- und Aufbewahrungsbürokratie erstreckt sich dabei über Jahrzehnte. Und die Pflicht geht über den EU-Raum hinaus: Die Prüfung soll die gesamte Wertschöpfungskette erfassen. Sie ist also nicht nur auf direkte Vertragspartner beschränkt, sondern umfasst auch Lieferanten und nachgelagerte Kunden. Was das für Unternehmen bedeutet, erläutert Peter Adrian, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK): „Komplexe Lieferketten bestehen oft aus mehreren Hundert oder sogar Tausenden Betrieben weltweit. Das deutsche Unternehmen kennt dann jedoch in der Regel nur den direkten Zulieferer.“

Vorschläge, wie Unternehmen diese Anforderungen konkret umsetzen sollen, liefert die EU nicht. Jede natürliche oder juristische Person kann jeden Verdacht einer Pflichtverletzung von einem Unternehmen bei Behörden bei „substantiierter Annahme“ anzeigen. Es ist gerade für mittelgroße Unternehmen praktisch unmöglich, diese Pflichten einzuhalten, wenn Rohstoffe aus Drittländern importiert werden. Aufgrund niedriger Schwellenwerte (250 Mitarbeiter, 40 Millionen Euro Umsatz oder 20 Millionen Euro Bilanz) im Lebensmittelsektor werden auch Handwerksunternehmen hiervon betroffen sein. Sorgfaltspflichten entlang der gesamten Wertschöpfungskette lassen sich alleine schon aus betriebspraktischen Gründen nicht darstellen. Schon Sorgfaltspflichten über die erste Zuliefererstufe hinaus sind illusorisch.

Entwurf schwächt Wettbewerbsfähigkeit

MIT-Vorstandsmitglied Pieper befürchtet, dass der Entwurf der EU-Kommission „der Weitergabe von Verantwortlichkeiten großer Unternehmen an mittelständische Betriebe Tür und Tor öffnet“. Er kritisiert zudem, dass die Mitgliedsstaaten sicherstellen sollen, dass Unternehmen mittels einer zivilrechtlichen Haftung für potentielle Schäden aufkommen sollen. „Das ist einfach unverhältnismäßig und wird globale Lieferketten auch zum Nachteil armer Regionen kappen“, sagt Pieper. Markus Ferber (CSU), Ko-Sprecher des PKM Europe und wirtschaftspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament, fügt hinzu: „Die Europäische Kommission verliert mit dem Vorschlag Maß und Mitte völlig aus dem Blick. Dies gilt für Fragen der internationalen Wettbewerbsfähigkeit ebenso wie für die Leistungsfähigkeit von Unternehmen. Länder wie China, die bei Menschenrechts- und Umweltfragen nicht so hohe Standards ansetzen, werden in Entwicklungs- und Schwellenländern gerne in die Bresche springen. Zum Nachteil des deutschen Mittelstands.“

CSR-Richtlinie bringt weitere Bürokratie

Weiteren Bürokratieaufwand bringt auch die geplante CSR-Richtlinie der EU mit sich. Diese verlangt, dass Unternehmen ab 2023 einen Nachhaltigkeitsbericht in ihren Lagebericht aufnehmen müssen. Diese nicht-finanzielle Berichterstattung soll Transparenz in Bezug auf nachhaltiges Handeln der Unternehmen gewähren. Bisher waren in Deutschland geschätzt 500 Unternehmen berichtspflichtig. In Zukunft sollen auch Mittelständler ab 250 Mitarbeitern zur Dokumentation verpflichtet sein, was die Zahl der betroffenen Unternehmen um ein vielfaches erhöht. Bisher galt die Pflicht nur für große kapitalmarktorientierte Unternehmen, Kreditinstitute und Versicherungen. Der Umfang der Berichtspflicht wird durch die Richtlinie ebenfalls erheblich erweitert. All dies führt zu weiterem Bürokratieaufwand, vor allem für Mittelständler. Ziel der Berichtspflicht ist die vollständige Offenlegung von Unternehmensaktivtäten in Bezug auf Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft.

Konkret bedeutet dies, dass zentrale Strategien, Maßnahmen und Fortschritte dokumentiert werden müssen. Darüber hinaus plant die Kommission, die Vergütung von Führungskräften anhand ihres Beitrags zur Erreichung der Pariser Klimaziele zu bemessen. Das sieht MIT-Vorstandsmitglied Ferber kritisch: „Operationelle und finanzielle Risiken sind für eine nachhaltige Geschäftstätigkeit ebenso wichtig wie Umwelt- und Menschenrechtsfaktoren. Diese gegeneinander auszuspielen oder bestimmte Faktoren zu bevorzugen, ist nicht zielführend und lässt leicht vergessen, dass eine Geschäftsidee zwar menschen- und umweltfreundlich, jedoch aus wirtschaftlicher Sicht schlicht unrentabel und damit nicht marktfähig sein kann.“ Bereits jetzt gibt es Compliance-Fragen. Denn bis Ende 2022 muss die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt sein. Die Unternehmen sollen bereits ab den Jahr 2023 der Dokumentations- und Berichtspflicht nachkommen. Die Kürze des Vorlaufs erscheint gerade für den Mittelstand nicht realistisch.

EU-Taxonomie lenkt Wirtschaft

In eine ähnliche Richtung wie die CSR-Richtlinie steuert auch die Taxonomie. Die Taxonomie durch die EU ist allen voran eins: ein Klassifizierungsinstrument. Dabei geht es darum, Unternehmen und deren Aktivitäten danach zu kategorisieren, ob sie „grün“ sind oder nicht. Als Teil des 2018 vorgestellten „Aktionsplans zur Finanzierung von nachhaltigem Wachstum“ soll die Taxonomie mehr Investitionen in Technologien und Unternehmen lenken, die von der EU als nachhaltig eingeordnet werden. Neben dem enormen bürokratischen Aufwand für Unternehmen ist vor allem die Klassifizierung an sich umstritten. Denn diese Form der gelenkten Wirtschaft hat wenig mit Sozialer Marktwirtschaft gemein. Während Unternehmer stets an Innovationen arbeiten möchten, die ihr Unternehmen zukunftsorientiert voranbringen, werden sie damit beschäftigt sein, etliche Dokumentationspflichten zu erfüllen. Darauf basierend entscheidet dann die EU, wie sozial und nachhaltig ein Unternehmen einzustufen ist.

Was die Taxonomie weiterhin mit sich bringt, sind zusätzliche Berichtsund Informationspflichten für alle Unternehmen. Groß und klein. Unternehmen müssen in Zukunft nachweisen, dass ihre wirtschaftlichen Aktivitäten mit mindestens einem der sechs Umweltziele der EU vereinbar sind. Die Umweltziele, die nach der EU-Richtlinie gefördert werden müssen, reichen von der Verhinderung des Klimawandels und der Vermeidung der Umweltverschmutzung bis hin zur Wiederherstellung der Biodiversität. Gleichzeitig darf bei der Erfüllung eines Umweltziels kein anderes beeinträchtigt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass durch eine gesetzliche Verknüpfung auch der Anwendungsbereich der Taxonomie-Verordnung automatisch auf Mittelständler erweitert würde. Das starre Klassifikationsschema der Taxonomie-Verordnung, wonach Wirtschaftstätigkeiten technokratisch-willkürlich in „grün“ und „nicht-grün“ unterteilt werden sollen, hat gravierende Auswirkungen auf die Attraktivität von Unternehmen auf den Finanzmärkten – und damit erheblichen Einfluss auf ihren Zugang zu Investitionskapital.

Nicht die Zeit für Zusatzlasten

Alle in der „EU-Giftliste“ aufgeführten Richtlinien und Verordnungen führen dazu, dass die EU-Länder einen Wettbewerbsnachteil im globalen Markt erfahren. Es erfolgt eine Entkopplung der Erfolgsfaktoren im internationalen Vergleich. Der Schutz der Menschenrechte ist Gemeinschaftsaufgabe von Politik und Wirtschaft. Die Verantwortung liegt auf beiden Seiten. Dabei muss jedoch auch die Praktikabilität beachtet werden. Unternehmen sollten nur für die Bereiche der Wertwertschöpfungskette haftbar gemacht werden, auf die sie unmittelbar Einfluss haben. Klar sein muss, dass die Verfolgung der Ziele der Richtlinien nicht zu Lasten des Mittelstandes fallen darf. Der Krieg in der Ukraine zeigt, dass Unternehmen selber soziale und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Und das freiwillig. Unternehmen unterstützen ukrainische Partner und setzen klare Zeichen gegen die russische Invasion. Zusätzliche Regulierungen sind in Zeiten wie diesen schlichtweg nicht angebracht.

Alina Kemper

Dieser Artikel erschien im Mittelstandsmagazin, Ausgabe 2-22.