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Die Kranken- und Pflegeversicherung erhalten stetig steigende Steuerzuschüsse. Prof. Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts, spricht sich im Interview dafür aus, dem demografischen Wandel mit einer längeren Lebensarbeitszeit entgegen zu treten - und privater Vorsorge.

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Während der Corona-Pandemie hat die Politik viel Verantwortung an sich gezogen. Was passiert damit, wenn die Krise vorbei ist?

Diese Pandemie war etwas Neues für uns alle, auch für die Politik. Und die Politik musste hart eingreifen. Aber genauso wichtig ist es, dass der Staat sich zurückzieht, wenn er nicht mehr gebraucht wird. Dann muss der Staat sagen: Die Infektionen gehen jetzt zurück, dann nehmen wir auch die Einschränkungen zurück. Denn in der normalen Situation ist es nicht erforderlich, dass der Staat den Bürgern sagt, was sie tun sollen.

Es gibt den Trend, auf Steuergelder zurückzugreifen, um die Defizite in der Krankenversicherung und nun auch in der Pflege auzugleichen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Das ist eine sehr kurzfristige Lösung – eigentlich sogar überhaupt keine. Denn künftig werden immer weniger Beitragszahler immer mehr ältere Menschen versorgen müssen. Zu sagen, wir finanzieren die demografischen Entwicklungen durch Steuern statt Sozialversicherungsbeiträge, ist keine Lösung. Denn auch die Steuern müssen erwirtschaftet werden. Wir werden alle älter, auch gesund älter, im Durchschnitt jedenfalls. Also müssen wir auch länger arbeiten. Das ist unabwendbar, egal, ob das Ganze jetzt steuer- oder beitragsfinanziert wird.

Bei der Pflegeversicherung soll der Eigenanteil schrittweise gedeckelt werden in Heimen. Wie zielgenau ist das?

Die Politik nimmt immer wieder Teile der Sozialversicherung und vergibt dann zusätzliche Leistungen. Diese erreichen dann aber nur oberflächlich die Richtigen. Bei genauerem Hinsehen sind diese zusätzlichen Leistungen eben nicht zielgenau. Das heißt: Es werden dann immer viele erreicht, die es eigentlich gar nicht brauchen. Je enger die Finanzen werden, desto problematischer wird diese Ungenauigkeit, gerade im Bereich der sozialen Sicherheit. Wir müssen also viel mehr auf Zielgenauigkeit achten, sonst werden wir uns das nicht mehr leisten können. Hinzu kommt: Eingriffe in die Sozialversicherungen erfolgen eben häufig aus wahltaktischen Gründen. Da geht es schlicht darum, Geschenke an interessierte Gruppen zu verteilen.

Nicht jeder wird pflegebedürftig, aber wie sollte idealerweise für den Pflegefall vorgesorgt werden?

Vorsorge für die Pflege ist wichtig. Eigenbeteiligung und Selbstverantwortlichkeit sind hier die richtigen Stichworte. Deshalb sollte es so sein, dass man eben einen gewissen Anteil der Pflege selbst absichert und privatwirtschaftlich vorsorgt. Es spricht sogar Einiges dafür, eine gewisse Vorsorgepflicht einzuführen. Denn: Der Pflegefall kann jeden ereilen.

Was sagen Sie als Ökonom zur Bedeutung vom dualen System von Gesetzlicher und Privater Krankenversicherung?

Aus meiner Sicht ist das duale System eine gute Sache. Wir dürfen nicht vergessen, dass staatliche Fürsorge und staatliche Eingriffe eigentlich nur dort anfallen sollten, wo Menschen sich nicht selbst helfen können. Wenn wir den Gesundheitssektor insgesamt zu einer staatlichen Administration machen, dann verlieren wir die Chance, dass dieser Wirtschaftssektor auch wächst. Wir brauchen eine universelle Gesundheitsabsicherung, aber wir brauchen genauso die Eigeninitiative, die Innovation, die Investitionsbereitschaft und auch die Bereitschaft zur Risikoübernahme. Nur so kann sich der Gesundheitssektor so entwickeln, wie wir ihn brauchen. Er ist eine Wachstumsbranche und Wachstumsbranchen organisiert man nicht als staatliche Verwaltung.