Zu groß, zu teuer, zu unausgewogen

Datum des Artikels 26.02.2021
MittelstandsMagazin

Die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland stehen in der Kritik: zu teuer, die Strukturen veraltet, der Aufgabenzuschnitt überholt, die Berichterstattung nicht ausgewogen. Die MIT wagt sich an das heiße Eisen heran und hat in mehreren Werkstattgesprächen ein umfassendes Reformkonzept erarbeitet.

Am 6. Januar twitterte ZDF-Moderator Claus Kleber: „Unfassbare Szenen im US-Capitol. CNN einschalten – sofort!“ Kleber hatte Recht. Am Capitol stürmte ein Mob von Trump-Anhängern den Sitz des Kongresses und bedrängte Abgeordnete. Leider gab es davon in den Hauptprogrammen von ARD und ZDF nichts zu sehen. CNN, der Sender auf den Kleber verweist, ist ein privatwirtschaftliches Medienunternehmen und war live vor Ort. So übrigens auch ein Kamera-Team der deutschen Tageszeitung „Die Welt“ und viele andere Medien. Nur ARD und ZDF verpassten diese „unfassbaren Szenen“. Nun muss man dem ZDF zugutehalten, dass der Sender durchaus live dabei war: Allerdings in einem Online-Livestream von ZDF-heute, nicht im ZDF-Hauptprogramm. Dort lief ein Krimi. Auch in der ARD lief ein Film. Erst in den "tagesthemen" wurde ausführlicher berichtet.

Es ist nicht das erste Mal, dass ARD und ZDF keine Livebilder und Einordnungen eines Weltereignisses senden, während private Medien problemlos ein Kamerateam vor Ort haben. So war es beispielsweise auch, als die Pariser Kathedrale Notre-Dame brannte. Selbst der frühere Chefredakteur des ARD-Hauptstadtstudios, Ulrich Deppendorf, kritisierte dies via Twitter: „Warum gab es keinen ARD-Brennpunkt zum Brand von Notre Dame, neben dem Eiffelturm das Symbol Frankreichs? Schwer nachzuvollziehen.“ Wieder waren private Medien vor Ort, der von der Allgemeinheit finanzierte öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht. 

86 Cent mehr?

ARD, ZDF und die angeschlossenen Anstalten sind der teuerste öffentlich-rechtliche Rundfunk der Welt. Rund acht Milliarden Euro nehmen die Sender durch den Rundfunkbeitrag jährlich ein. Einnahmen aus Werbung, Sponsoring, Produktplatzierungen und Rechteverkäufen sind da noch nicht eingerechnet. Zuletzt hätte der Beitrag um 86 Cent im Monat steigen sollen. Dies scheiterte am Veto der CDU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt. Die anderen Bundesländer hatten der Erhöhung bereits zugestimmt. Und die Rundfunkanstalten hatten die jährlichen Mehreinnahmen von rund 400 Millionen Euro bereits budgetiert. Die öffentlich-rechtlichen Sender wollen die Erhöhung nun beim Bundesverfassungsgericht einklagen. Einen Eilantrag, die Erhöhung richterlich anzuordnen, lehnte Karlsruhe ab. Wann das Bundesverfassungsgericht endgültig über den Rundfunkbeitrag entscheidet ist noch offen. Der ARD-Intendant Tom Buhrow kündigte daraufhin Einsparungen beim Programm an: „Wir müssen nun unsere Finanzplanungen anpassen. Ein Ausbleiben der Beitragsanpassung wird gravierende Maßnahmen erfordern, die man im Programm sehen und hören wird.“ Dies stieß auf Unverständnis. Schließlich sind die Sender finanziell mit acht Milliarden Euro deutlich besser ausgestattet als die private Konkurrenz. Zum Vergleich: Die Axel Springer SE, eines der größten Medienunternehmen Europas, hatte 2019 einen Jahresumsatz von rund drei Milliarden Euro.

Statt ARD und ZDF nur eine Anstalt

Einsparpotentiale sind da. Kürzlich schrieb TV-Legende Thomas Gottschalk in der „Welt am Sonntag“: „Ich bin ein Fan des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, aber ich ärgere mich darüber, wie dieser sich in verknoteten Strukturen zu Tode verwaltet.“ Die MIT hat über ein Jahr lang an einem Reformkonzept gearbeitet. Die MIT bekennt sich darin klar zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk, schlägt aber zugleich umfassende Reformen vor, die zu erheblichen Kostenersparnissen führen würden. An der Ausarbeitung war unter anderem Stefan Müller, parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Bundestagsfraktion, beteiligt: „Das offensichtlichste Einsparpotential liegt im Bereich der Doppelstrukturen. Die Sender unterhalten alle eigene Abteilungen für Technik, Personal und Rechteeinkauf“, sagt Müller. Dies könne zentralisiert werden. „Mit einer einzigen Anstalt können hier massive Einsparpotentiale genutzt werden.“ Auch die Zahl der Programme müsse zurückgefahren werden, statt sie immer weiter auszubauen. „Die momentan 74 Radiowellen zeigen, dass es einen massiven Konsolidierungsbedarf gibt“, sagt Müller.

Zwischen 2010 und 2020 stieg die Zahl der privaten Radiosender von 213 auf 274. Im selben Zeitraum stieg aber auch die Zahl öffentlich-rechtlicher Radiosender von 58 auf 74. Nun müssen mehr private Sender mit mehr öffentlich finanzierten Sendern um Zuhörer und Werbeeinnahmen konkurrieren. „Auf Werbung und Sponsoring in öffentlich finanzierten Programmen sollte komplett verzichtet werden. Das schafft nur potentielle Interessenskonflikte“, fordert der Wirtschaftswissenschaftler Justus Haucap. Er hat ebenfalls an dem MIT-Reformpapier mitgearbeitet. 

Die Jüngeren schauen Netflix

„Zwingend notwendig wäre ein öffentlich finanzierter Rundfunk aus meiner Sicht nicht“, sagt der Direktor des Instituts für Wettbewerbsökonomie. Aus seiner Sicht wäre eine Förderung von bestimmten Inhalten oder Sendereihen sinnvoller als ein öffentlich-rechtliches Rundfunksystem. „Aber wenn man realistisch bleibt, ist ein öffentlich finanziertes Rundfunksystem in den Bereichen Information, Bildung und Kultur am besten zu begründen“, sagt Haucap. Deshalb unterstützt er den Vorschlag der MIT, der grundsätzlich an dem Rundfunksystem festhält.

CSU-Politiker Müller sieht den Schwerpunkt eines modernen öffentlich-rechtlichen Rundfunks im Bereich Information und fundierter regionaler Berichterstattung. „Dafür braucht es nur eine Rundfunkanstalt, die Korrespondentenbüros in den Regionen unseres Landes und weltweit betreibt. Die Sportberichterstattung kann jedoch genauso wie die Produktion von Unterhaltungsformaten zurückgefahren und stärker privaten Sendern überlassen werden“, sagt Müller. Auch Haucap sieht das größte Einsparpotential beim Spitzensport, insbesondere beim Fußball, sowie der Unterhaltung. „Davon kann sehr viel bei privaten Medien laufen“, findet er. Wichtig sei lediglich, dass wichtige Sportereignisse im frei empfangbaren Fernsehen übertragen würden, also nicht hinter einer Bezahlschranke. Aber dies kann durch entsprechende Regelungen im Rundfunkstaatsvertrag auch über private Sender ermöglicht werden. Dafür müssen nicht die gebührenfinanzierten Sender imWettbewerb um Lizenzrechte mitbieten.

Bei Filmen und Serien geraten die öffentlich-rechtlichen Sender gegenüber Streamingdiensten wie Netflix und Amazon-Prime ohnehin immer mehr ins Hintertreffen. Obwohl die Inhalte dort zahlungspflichtig sind, werden Streamingdienste vor allem von Jüngeren inzwischen viel stärker gesehen als die öffentlich-rechtlichen Unterhaltungsprogramme. 70 Prozent der 18- bis 34-Jährigen haben mindestens ein Abo bei einem Streamingdienst. In der Altersgruppe unter 30 Jahren liegt der Marktanteil der Streamingdienste jetzt schon bei 39 Prozent, während die TV-Sender inklusive ihrer Mediatheken und Youtube-Kanäle nur noch auf 33 Prozent kommen.

Auch mit der Qualität ist das gebührenfinanzierte Unterhaltungsangebot kaum noch zu rechtfertigen. Streaminganbieter wie Netflix und Amazon Prime produzieren längst selbst herausragende Dokumentationen, Spielfilme und Serien, die zum Teil auch renommierte Medienpreise gewinnen. Im Bereich Live-Berichterstattung bauen inzwischen auch zahlreiche Tageszeitungen ihr Angebot stetig aus. Und während ARD und ZDF Livebilder von Bundestagssitzungen zum Spartensender Phoenix abgeschoben haben, können sie bei vielen privaten Medien live auf deren Startseite verfolgt werden. Selbst das ZDF Urgestein Thomas Gottschalk wütete kürzlich in einer Talkrunde auf der Audio-App „Clubhouse“: „Für mich ist der Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit im öffentlich-rechtlichen Fernsehen einfach katastrophal.“ 

Zukünftige Finanzierung

Von Wirtschaftsverbänden und Unternehmen kommt immer wieder Kritik an der Ausgestaltung des Rundfunkbeitrags. So müssen etwa Autovermietungen für jeden Mietwagen mit Radio eine Gebühr entrichten. Auch Hoteliers müssen für jedes Zimmer 5,83 Euro monatlich zahlen. Dabei zahlen Hotelgäste oder die Mieter der Autos in der Regel bereits Rundfunkgebühren. „Die jetzige Finanzierung ist ungerecht“, klagt Stefan Müller. Künftig sollen deshalb nicht mehr jeder Haushalt und die Unternehmen für den Rundfunk zahlen, sondern jeder Bürger – allerdings deutlich weniger als bisher. „Zudem muss es weiter klare Ausnahmen geben: Erwerbslose oder Studenten sollten nicht zahlen“, fordert Stefan Müller.

Wenn alle zahlen, müssen auch alle vorkommen

Neben der Kritik an den Strukturen wird ARD und ZDF immer wieder und immer stärker politische Einseitigkeit 
vorgeworfen. Und dies lässt sich auch in Studien nachweisen. Laut einer Untersuchung des zur britischen Oxford-Universität gehörenden Reuters-Instituts gelingt es Anstalten wie der BBC, France Télévisions und dem öffentlichen Rundfunk in Finnland und Tschechien besser, Zuschauer des gesamten politischen Spektrums zu erreichen. Auch bei Jüngeren und beim eher unterdurchschnittlich gebildeten Publikum schneiden die deutschen Öffentlich-Rechtlichen schlecht ab. Ende des vergangenen Jahres wurde unter den Volontären der ARD eine Umfrage über das Wahlverhalten durchgeführt. Die Grünen erhielten bei den teilnehmenden Nachwuchs-Journalisten rund 57 Prozent, die Linke 23 Prozent und die SPD rund 11 Prozent Zustimmung. Auf sonstige Parteien entfielen 3,9 Prozent. Die Union erhielt 3 Prozent, die FDP 1,3 Prozent. Eine schwarz-gelbe Koalition wäre damit an der 5-Prozent-Hürde gescheitert. Auch geraten prominente Vertreter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch ihre Kommentare in sozialen Netzwerken immer wieder in die Kritik, weil sie mehr nach Aktivismus denn nach Journalismus klingen. Der jüngste Versuch einzelner Moderatoren bei ARD und ZDF, eine „gendergerechte Sprache“ durchzusetzen, also Personenbezeichnungen mit Gendersternchen oder Binnen-I im Wort („Zuschauer*innen“ oder „ZuschauerInnen“), wird von der Mehrheit der deutschen Zuschauer abgelehnt. Laut einer Studie von Infratest-Dimap halten 56 Prozent der Deutschen nichts davon. Auch die Mehrheit der Frauen lehnt es ab. Nur etwa ein Drittel sprach sich ganz oder eher dafür aus.

Aufsicht soll demokratisch werden

Um zu gewährleisten, dass die Rundfunkanstalten die gesamte Gesellschaft abbildet und thematisch für alle etwas bietet, schlägt die MIT eine Reform der Aufsichtsgremien vor. Derzeit werden die Rundfunkräte aus Politikern und Vertretern verschiedener Vereinigungen wie Gewerkschaften, Frauenverbänden oder Kirchen gebildet. Die MIT schlägt stattdessen ein transparent und demokratisch gewähltes Rundfunkparlament vor. Dieses Parlament wird von allen Rundfunkbeitragspflichtigen, inklusive der vom Beitrag befreiten Personen, gewählt, und jeder aus dieser Gruppe darf kandidieren. Die Idee ist vergleichbar mit den Sozialwahlen, bei denen alle gesetzlich Versicherten ihre Vertreter in die Aufsichtsgremien der Renten- und Gesundheitskassen wählen können. Allerdings schwebt der MIT, anders als bei den Sozialwahlen, durchaus ein richtiger Wettbewerb unterschiedlicher Gruppierungen vor, so dass eine echte Auswahl besteht. Das Rundfunkparlament soll sowohl die Mittelverwendung kontrollieren als auch über die Auswahl der Führungspersonen entscheiden. Außerdem soll das Rundfunkparlament einen Ausschuss für Programmbeschwerden bilden. Dieser soll vertraulich tagen. Programmrügen sollen nur mit Zweidrittelmehrheit ausgesprochen worden dürfen.

Für MIT-Chef Carsten Linnemann ist wichtig, „dass die MIT sich klar zu einem durch die Allgemeinheit finanzierten, freien öffentlich-rechtlichen Rundfunk bekennt. Es ist für den demokratischen Diskurs und die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Bildung und Teilhabe wichtig, dass es seriös recherchierte Angebote gibt.“ Gleichzeitig sei unbestreitbar und werde ja inzwischen auch von Vertretern der Sender selbst eingeräumt, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk reformbedürftig sei. „Mit unseren Reformvorschlägen wollen wir diesen Prozess anstoßen“, so Linnemann.

Micha Knodt

Volontär 

Dieser Artikel erschien im Mittelstandsmagazin (Ausgabe 1/2021)