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Gesellschaft & Kultur > Lieferkettengesetz und Bürokratie

Nutzt China, nicht den Menschenrechten: Massive Kritik am Lieferkettengesetz

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Die Minister Gerd Müller und Hubertus Heil haben sich mit Peter Altmaier auf eine entschärfte Form geeinigt. Doch die Sorge bleibt, dass für die Menschenrechte in aller Welt dadurch wenig getan ist, aber viel für die Bürokratie in Deutschland.

Die Minister Gerd Müller (CSU) Hubertus Heil (SPD) haben das Lieferkettengesetz voran getrieben, Foto: Picture Alliance
Die Minister Gerd Müller (CSU) Hubertus Heil (SPD) haben das Lieferkettengesetz voran getrieben, Foto: Picture Alliance

Das Ziel ist ehrenwert. Aber der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf droht, eher die bürokratischen Auflagen für deutsche Unternehmer zu erhöhen als die menschenrechtliche Lage in Entwicklungsländern zu verbessern: Das Bundeskabinett hat sich am Freitag auf den Entwurf einen Referentenentwurf zu einem Lieferkettengesetz geeinigt, über das Produktionsbedingungen und soziale Standards in Ländern durchgesetzt werden sollen, in denen deutsche Firmen produzieren lassen oder Rohstoffe erwerben. "Jeder Mensch hat ein Recht auf Leben in Würde, nicht nur in Deutschland", sagte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) bei der Vorstellung des Gesetzes, das er mit Bundesarbeitsminister Sebastian Heil (SPD) vorangetrieben hatte. Aus der Mittelstandsunion der CDU, der AfD und der FDP wurde hingehend deutliche Kritik laut an dem Projekt.

„Die vorgestellten Pläne der großen Koalition führen nur zu weiterer Verunsicherung und nicht zu besseren Lebenschancen für Menschen in Entwicklungsländern“, erklärt Michael Theurer, stellvertretender Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion, gegenüber TheEuropean. „Menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für große Unternehmen müssen einheitlich auf EU-Ebene geregelt werden, sonst droht ein wirkungsloser Flickenteppich und eine unnötige Umstellung für Unternehmen.“ Die EU-Kommission wolle im Frühsommer ihr Konzept erarbeiten, so Theurer, der auch Chef der Liberalen in Baden-Württemberg ist, und das EU-Parlament wolle „schon in den nächsten Wochen über einen eigenen Vorschlag abstimmen. Der nationale Alleingang der Minister Heil, Altmaier und Müller ist deshalb ein unnötiger, bürokratischer Etikettenschwindel.“

Übernahme durch chinesische Konzerne?

Jana Schimke, CDU-Bundestagsabgeordnete und Vizechefin der Mittelstands- und Wirtschaftsunion der CDU/CSU (MIT), sagte TheEuropean: „Die Wahrung von Menschenrechten in der Lieferkette ist wichtig. Doch wir sollten uns auch ehrlich machen und erkennen, dass wir nicht alle Probleme dieser Welt lösen können.“ Deutsche Unternehmen hätten „schon heute sehr hohe Standards durch Bürokratie und Abgaben zu erfüllen“, so die brandenburgische Politikerin. „Hinzu kommen die Folgen des weltweiten Lockdowns. Der internationale Wettbewerb sollte deshalb jetzt besonderen Schutz erfahren.“ Schimkes Warnung: „Wenn chinesische Konzerne das Geschäft übernehmen, ist den Menschenrechten noch weniger geholfen.“

Für den AfD-Abgeordneten Markus Frohnmaier, Mitglied im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit, „unterstreicht auch die jetzige Verständigung der Regierung auf das Bürokratiemonster Lieferkettengesetz“, wie stark sich „das Merkelkabinett vom Volk abgekehrt hat“. Die Ankündigung komme „zur Unzeit: Unzähligen deutsche Unternehmen droht durch die Politik der ewigen Lockdown-Verlängerung die Insolvenz.“ Auch Frohnmaier monierte, die Bundesregierung biete „den Chinesen Deutschland geradezu zum Ausverkauf an“.

Hingegen kritisierten kirchliche Verbände und Menschenrechtsorganisationen, das Gesetz gehe nicht weit genug. Misereor-Geschäftsführer Pirmin Spiegel mahnte Nachbesserungen bei der zivilrechtlichen Haftung und der Achtung von Umweltstandards an. Brot für die Welt beklagte, die Regelung eröffne Geschädigten in Bangladesch, Peru oder Ghana nicht die Chance auf Entschädigung vor deutschen Gerichten.

Widerstand von Altmaier

Auf ein Lieferkettengesetz hatten sich Union und SPD bereits im Koalitionsvertrag Anfang 2018 verständigt, damals auf Initiative der Sozialdemokraten. Doch die ersten Entwürfe waren auf Widerstand bei Wirtschaftsminister Peter Altmaier und bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (beide CDU) gestoßen. Wirtschaftsexperten befürchteten vor allem massive Wettbewerbsnachteile für deutsche Mittelständler. Ein solches Gesetz bedeute für kleine und mittlere Unternehmen erhebliche rechtliche Risiken und einen nicht leistbaren finanziellen und personellen Aufwand, um bis ins letzte Glied von oft international verflochtenen Liefer- oder Produktionsketten sicherzustellen, dass dort weder Kinderarbeit in Anspruch genommen noch Hungerlöhne gezahlt würden

Nun versichert Altmaier in der Union, man habe einen „akzeptablen Kompromiss“ hinbekommen. Aber sind die Schwachstellen wirklich ausgeräumt? Während Müller und Heil ursprünglich das Gesetz anwenden wollten für Firmen ab 500 Mitarbeiter, soll laut dem Entwurf ab dem 1. Januar 2024 eine Beschäftigtenzahl in Deutschland von 1000 der Maßstab sein. Davon wären etwa 2900 deutsche Unternehmen betroffen. In einem ersten Schritt ab 1. Januar 2023 gilt das Gesetz allerdings erst für Firmen ab 3000 Mitarbeitern in Deutschland, was laut „Handelsblatt“ einen Kreis von 600 Unternehmen betrifft.

„Die von dem Gesetz erfassten Unternehmen müssen künftig mit Blick auf Menschenrechte bestimmte Sorgfaltspflichten beachten: Dazu gehören ein angemessenes Risikomanagement, Maßnahmen zur Vermeidung von Rechtsverletzungen (Prävention), Abhilfemaßnahmen und Beschwerdemöglichkeiten“, so das Wirtschaftsministerium, das jetzt über ein „Sorgfaltspflichtgesetz“ informiert, während Müller und Heil auf den Websites ihrer Ministerien weiterhin vom „Lieferkettengesetz“ sprechen. Es gibt auch eine Berichts- und Dokumentationspflicht, die für Unternehmen in jedem Fall zusätzliche Bürokratie und bedeutet. Bei Verstößen drohen Zwangs- und Bußgelder und der „zeitweise Ausschluss von der Vergabe öffentlicher Aufträge“. Zu ihrer Verhängung erhält das Bundesamt für Ausfuhrkontrolle laut Heil "ein robustes Mandat". Die Höhe der Strafgelder steht noch nicht fest. Heil sprach aber von bis zu zehn Prozent des Umsatzes.

Kein zivilrechtlicher Klageweg

Der bisher geltende zivilrechtliche Status Quo werde entgegen früheren Entwürfen, der zivilrechtliche Klagewege ausdrücklich vorsah, nun doch nicht verändert, versucht das Wirtschaftsministerium zu beruhigen. Demnach dürfen deutsche Unternehmen weiterhin nur vor deutschen Gerichten wegen tatsächlicher oder vermeintlicher Verstöße gegen das Lieferketten- oder Sorgfaltspflichtgesetz verklagt werden: „Es wird kein zusätzliches zivilrechtliches Haftungsregime im deutschen Recht eingeführt.“ Damit werde vermieden, dass deutsche Unternehmen sich aufgrund unklarer Haftungsreichweite und Regresspflichten aus schwierigen Handelsregionen zurückziehen.

Allerdings dürfen nach dem Referentenentwurf auch Menschenrechtsorganisationen, NGOs oder Gewerkschaften vor deutschen Gerichten gegen Unternehmen klagen, wenn sie in einem Land, das zu irgendeinen Glied in der Lieferkette gehört, Verletzungen der Sorgfaltspflicht sehen. Wo beginnt aber eine solche Verletzung? Wenn der Verdacht besteht, dass ein zugeliefertes Teil in China von Zwangsarbeitern gefertigt wurde? Wenn in einem indischen Bundesstaat nur ein Bruchteil des deutschen Mindestlohnes gezahlt wird? Wenn in einer afrikanischen Textilfabrik keine Notausgänge und Feuerlöscher vorhanden sind? Wer wird dies wie und mit welchem Zeitaufwand überprüfen? Und sicherstellen, dass der Feuerlöscher eine Woche nach der Inspektion nicht verschwunden ist?

Deutsche Unternehmer gaben in der Vergangenheit an, dass ihre Lieferkette aus bis zu mehreren Dutzenden Gliedern von der Gewinnung unterschiedlicher Rohstoffe über die Herstellung von Teilen bis zur Endmontage in verschiedensten Ländern bestehe. Bis zu welchem Glied der Kette soll das Gesetz gelten, das im Haus von Altmaier als „Sorgfaltspflichtgesetz“ bezeichnet wird und bei Müller und Heil weiterhin als „Lieferkettengesetz“ firmiert? Im Wirtschaftsministerium wird der „unmittelbare Zulieferer“, also das erste Kettenglied, hervorgehoben: „Die neuen Sorgfaltspflichten gelten für den eigenen Geschäftsbereich sowie den unmittelbaren Zulieferer umfassend, denn dort haben Unternehmen Einblick und Einflussmöglichkeiten. Für die mittelbaren Zulieferer in der Lieferkette gelten sie hingegen nur anlassbezogen. Das bedeutet, wenn ein großes Unternehmen (positive und substantiierte) Kenntnis über eine mögliche Menschenrechtsverletzung in diesem Bereich erhält, dann muss es aktiv werden.“

Ministerien uneinig in der Interpretation

Nur anlassbezogen? Das Arbeits- und Sozialministerium formuliert die Pflichten für die Unternehmen wesentlich strenger und bezieht sie auf die „gesamte Lieferkette“: „Es reicht künftig nicht mehr, nur bis zu den eigenen Werkstoren zu schauen, Unternehmen sollen dafür einstehen, dass es in ihrer gesamten Lieferkette nicht zu Menschenrechtsverletzungen bei der Herstellung ihrer Produkte kommt.“

Wenn nicht einmal die beteiligten Minister einig sind, wie das Gesetz zu interpretieren ist, dürfen sich Gerichte wohl auf viel Arbeit einstellen. MIT-Vize Schimke warnt denn auch: „Wir müssen im Bundestag darauf achten, dass das Lieferkettengesetz nicht zum Konjunkturprogramm für eine internationale Klageindustrie und klagefreudige NGOs gegen deutsche Unternehmen wird.“ Und für die Liberalen fordert Theurer: „Nur gemeinsame europäische Standards für menschenrechtliche Sorgfalt in der Lieferkette können einen Beitrag für eine globale, offene und faire Weltwirtschaft zum Wohle aller leisten.“

 

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