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Gaspreisbremse reicht nicht Wo ist die Brücke für den Winter?

Die Gaspreise machen nicht nur Privathaushalten zu schaffen, sondern auch dem Mittelstand.

Die Gaspreise machen nicht nur Privathaushalten zu schaffen, sondern auch dem Mittelstand.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Empfehlungen der Gaskommission müssen nachgebessert werden. Kleine und mittlere Unternehmen brauchen eine Übergangslösung für den Winter, mindestens aber eine Härtefallbrücke.

"Bei uns läuft der Countdown." So brachte in dieser Woche ein Fleischer seine Situation auf den Punkt. Anfang des Jahres hatte der Familienbetrieb noch eine glänzende Zukunft. Es wird regional produziert. Die Kundschaft stand Schlange. Die Nachfolge für die vierte Generation ist gesichert. Allein die Fachkräfte fehlten. Nur zehn Monate später gibt es keine Gewissheit mehr. Rohstoffpreise haben sich vervielfacht. Die Verbraucher überlegen zweimal, ob sie den teureren Braten aus Tierwohlhaltung kaufen. Und gerade hat der Steuerberater berechnet, dass im kommenden Jahr rund 110.000 Euro zusätzlich für Gas und Strom anfallen werden.

Gitta Connemann ist Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion von CDU und CSU und Bundestagsabgeordnete für die CDU.

Gitta Connemann ist Vorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion von CDU und CSU und Bundestagsabgeordnete für die CDU.

(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)

Der Betrieb wird zum Drahtseilakt. Und steht damit beispielhaft für den Mittelstand in Deutschland. Von den 3,5 Millionen Unternehmen gelten immerhin 98 Prozent als kleinere und mittlere. Sie beschäftigen Abermillionen Menschen, bilden überproportional aus. Die Unternehmerfamilien übernehmen häufig vor Ort Verantwortung. Nachhaltigkeit ist kein Modewort, sondern Haltung. Denn es wird in Generationen und nicht in Jahresabschlüssen gedacht. Innovation gehört schon immer zur Identität des Mittelstandes. Kompetenz, Kreativität und Fleiß bildeten das Fundament, Kriege und Krisen zu überstehen.

Aber jetzt stehen Unternehmen aller Branchen, Regionen und Größenklassen ohne Netz und doppelten Boden da. Die Folgen sind spür- und sichtbar. Die Insolvenzwelle nimmt an Fahrt auf. Bäckereien, Gießereien, aber auch Markenhersteller wie Hakle schließen ihre Tore. Produktionen werden flächendeckend gedrosselt: Stahl bislang 5 Prozent, Chemie 8 Prozent, Düngemittel 70 Prozent. Wer ins Ausland verlagern kann, überlegt es jedenfalls. Immer mehr Firmen können ihre Rechnungen nicht mehr pünktlich zahlen. Das Ausfallrisiko bei den Unternehmen steigt fast wöchentlich, meldet aktuell Creditreform. Die Wirtschaft hat den Abgrund vor Augen.

Viele teure Strohfeuer statt struktureller Hilfe

Dreh- und Angelpunkt sind die nicht beherrschbaren Energiekosten. Ohne Entlastung werden die Betriebe den Angebotsschock nicht schultern können. Bislang wurden sie allerdings bei allen Paketen der Ampel vergessen. Die Senkung der Umsatzsteuer auf Gas hilft vorsteuerabzugsberechtigten Betrieben nicht. Liquiditätshilfen bringen keinem Betrieb etwas, der aus der Substanz lebt. Mit der Möglichkeit einer steuerfreien Zahlung bis zu 3000 Euro erzeugt die Ampel Erwartungen bei Mitarbeitern. Bezahlen sollen es aber Betriebe, die es nicht mehr können. Viele teure Strohfeuer, aber keinerlei strukturelle Hilfen. Nichts. Niente. Nada.

Umso größer war und ist die Hoffnung auf die Gaspreisbremse. Damit sollte alles besser werden. Die Erwartungen an die Vorschläge der von der Bundesregierung einberufenen Expertenkommission zur Deckelung des Gaspreises waren hoch. Umso größer war die Enttäuschung am Montag. Sollte nämlich der Plan der Expertenkommission so von der Ampel übernommen werden, käme der Deckel für viele Betriebe zu spät.

Was sagt die Kommission? Für die energieintensive Industrie mit besonders hohem Gasverbrauch soll der Beschaffungspreis für Gas zum Jahreswechsel auf 7 Cent pro Kilowattstunde eingebremst werden - für 70 Prozent des Vorjahresverbrauchs. Das ist spät. Und bis dahin könnte in mancher Konzernzentrale eine unumkehrbare Entscheidung gegen den Standort Deutschland getroffen werden. Aber es ist jedenfalls eine Perspektive.

An der Expertenkommission lag es nicht - die Ampel hat zu lange gewartet

Für den Rest der Betriebe heißt es - warten. Im Dezember soll es eine Abschlagszahlung geben. Diese wird aber nicht mehr als der Tropfen auf den heißen Stein sein. Die eigentliche Gas- und Wärmepreisbremse soll erst zwischen März und Ende April kommen. Sie ist also nicht mehr als eine vage Verheißung bis zum Frühjahr. Oktober, November, Januar, Februar, März - der Mittelstand muss selbst sehen, ob er den Winter 2022/23 überlebt oder nicht. Der Countdown läuft.

Der Expertenkommission selbst ist kein Vorwurf zu machen. Die Mitglieder mussten ihren Zwischenbericht mit heißer Nadel binnen weniger Stunden stricken. Und das in einem engen Korsett an Vorgaben. Verantwortung trägt demgegenüber die Bundesregierung. Jetzt rächt sich, dass die Ampel den Sommer einfach hat verstreichen lassen. Dabei schlugen Wirtschaft, Wissenschaft und Opposition seit März Alarm. Die Union stellte bereits vor Wochen ein durchgerechnetes Modell vor. Fertig und bereit zur Anwendung. Dies mag man verwerfen. Aber wo bleibt die dringend erforderliche Entlastung?

Die Ampel ignorierte Warnhinweise und Vorschläge. Und bastelte lieber an dem Chaosprojekt Gasumlage, um es dann 34 Stunden vor Inkrafttreten zu stoppen. Auch die Abhilfe durch das sogenannte Energiekostendämpfungsprogramm löste sich in Luft auf. Ganze Branchen wurden vergessen. Und der Rest erhielt kaum Bewilligungen. Eine verlässliche Standortpolitik sieht anders aus.

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Doch noch kann gegengesteuert und der Schaden zumindest eingedämmt werden. Die Empfehlungen der Kommission müssen nachgebessert werden. Die Betriebe, die nicht in den Genuss des Industriegaspreises kommen, brauchen eine Übergangslösung für den Winter. Der Mittelstand braucht als Minimum eine Härtefallbrücke. Die Betriebe, die kein Eigenkapital mehr haben, müssen die Monate bis zum Inkrafttreten der Gaspreisbremse überbrücken können. Schnell, unbürokratisch, einfach.

Das Grundproblem würde aber damit allerdings gelöst: der Angebotsschock auf dem Energiemarkt. Jedes Kind weiß: Je niedriger das Angebot, desto höher der Preis. Deshalb muss jede Kilowattstunde an das Netz - ohne Tabus. Bislang macht die Ampel genau das Gegenteil. Aus der Kernenergie soll ausgestiegen werden, der Ausbau der Erneuerbaren Energie scheitert an Bürokratie vor Ort und ähnlichem. Und in Europa wird an der Börse munter gezockt. Die Ampel muss jetzt die Laufzeiten für alle Atomkraftwerke verlängern, Brennstäbe bestellen und prüfen, welche der anderen Kraftwerke wieder ans Netz genommen werden können. Es geht nicht um den Wiedereinstieg. Es geht um das wirtschaftliche Überleben. Liebe Ampel, bitte stoppt endlich den Countdown.

Quelle: ntv.de

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