Deutsche Rosneft-Töchter unter Kontrolle der Netzagentur

Warum der Staat jetzt auch noch beim Ölgiganten die Kontrolle übernimmt

Wirtschaftsminister Robert Habeck, Bundeskanzler Olaf Scholz und Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke berichten über die Entscheidung, die Kontrolle über die deutschen Rosneft-Töchter zu übernehmen.

Wirtschaftsminister Robert Habeck, Bundeskanzler Olaf Scholz und Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke berichten über die Entscheidung, die Kontrolle über die deutschen Rosneft-Töchter zu übernehmen.

Frankfurt am Main/Berlin/Hannover. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sprach einmal mehr das Unvermeidliche aus: „Wir wissen es längst, dass wir uns auf russische Energielieferungen nicht mehr verlassen können.“ Deshalb die „weitreichende energiepolitische Entscheidung zum Schutz unseres Landes“.

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Die zwei hiesigen Rosneft-Töchter werden mit sofortiger Wirkung für zunächst sechs Monate unter die Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur (BnetzA) gestellt. Damit hat der Staat das Sagen bei drei Raffinerien – die wichtigste befindet sich im brandenburgischen Schwedt, hinzu kommen Anlagen in Karlsruhe und im bayerischen Vohburg. Der russische Konzern hatte laut Bundesregierung zuletzt rund 12 Prozent der hiesigen Nachfrage gedeckt und war damit „eines der größten erdölverarbeitenden Unternehmen in Deutschland“.

Zugleich werde der Grundstein für den Erhalt des Standorts Schwedt gelegt. Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) betonte, dass kein Beschäftigter sich nun Sorgen um seinen Arbeitsplatz machen müsse. Laut Scholz muss möglicherweise aber demnächst auch mit Kurzarbeitregelungen hantiert werden.

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Staat hat die Mehrheit und Investor klopft an

Klar ist: Die BnetzA verwaltet nun die gut 54 Prozent schwere Mehrheitsbeteiligung von Rosneft an der PCK-Raffinerie in der Uckermark. Die übrigen Teilhaber – die britische Shell (37,5 Prozent) und die italienische Eni (8,3 Prozent) – bleiben erst mal an Bord, obwohl sie bereits deutlich gemacht haben, dass sie langfristig kein gesteigertes Interesse an der PCK haben.

So ist das britische Unternehmen Alcmene am Shell-Anteil interessiert. „Wir begrüßen diesen überfälligen Schritt sehr“, sagte Alcmene-Geschäftsführer Raul Riefler dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) zur Treuhandlösung. „Wir stehen bereit, uns als langfristiger Investor in Schwedt zu engagieren.“ Eine Vereinbarung gibt es allerdings noch nicht. „Mithilfe der Treuhand sollte die Grundlage geschaffen sein, notwendige Strukturmaßnahmen anzugehen, die einen reibungslosen Weiterbetrieb der Raffinerien auch ohne russisches Öl ermöglichen“, so Riefler.

Die Übernahme durch die BnetzA war schon länger erwartet worden. Unter anderem beschloss die Regierung eine „Lex Schwedt“ – eine Änderung des Energie­sicherungs­gesetzes, die die Treuhandlösung rechtlich erst ermöglicht. Dass es so lange mit all dem dauerte, hängt mit der äußerst komplexen Gemengelage im Fall der PCK zusammen. Die Anlage war in den 1960er-Jahren zur Versorgung der DDR errichtet worden und bezog ihren Rohstoff komplett über die russische Druschba-Pipeline.

Habeck auf Rettungsmission in Schwedt: 1200 Beschäftigte bangen um ihre Jobs

Was wird aus der Raffinerie PCK in Schwedt, wo nur Öl aus Russland ankommt? Minister Habeck hat schon Pläne, in der Stadt herrscht nicht nur Zuversicht.

Wo soll all das Öl herkommen?

Über einer alternativen Versorgung haben Experten im Wirtschaftsministerium seit geraumer Zeit gebrütet. Die Aufgabe sei nicht trivial, ließ Minister Robert Habeck (Grüne) mehrfach wissen. Ein Baustein ist eine Belieferung über den Rostocker Hafen. Laut Finanznachrichtenagentur Bloomberg hat ein Tanker bereits Anfang August eine erste Lieferung von US-Öl dort angelandet. Allerdings liegt die Kapazität der Pipeline, die vom Meck-Pom-Hafen ins Brandenburgische führt, deutlich unter dem, was durch die Druschba-Rohre gepumpt werden kann.

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Einspringen kann zudem der Danziger Hafen, dessen Ölterminal über freie Kapazitäten verfügt. Allerdings hatte die polnische Regierung immer wieder deutlich gemacht, dass da nichts läuft, solange es sich um Öl handelt, mit dem russische Firmen Geld verdienen. Mit der Treuhandverwaltung soll nun dieser Forderung entsprochen werden. Eine Reaktion der polnischen Seite blieb zunächst aus.

Habeck sieht Versorgung gewährleistet

Die Anlagen in Schwedt müssen mindestens zu 70 Prozent ausgelastet sein, um rentabel zu sein. Derartige Mengen werden aber auch mindestens benötigt, um den Bedarf an Benzin, Diesel, Kerosin und Heizöl unter anderem für Brandenburg und Berlin, den Flughafen BER und Teile Westpolens zu decken. Erschwerend kommt hinzu, dass die zweite Raffinerie für Ostdeutschland – in Leuna (Sachsen-Anhalt) – ebenfalls an der Druschba-Leitung hängt und in wenigen Monaten auch ausschließlich von den Ostseehäfen abhängig sein wird.

epa02901733 Russian Prime Minister Vladimir Putin (2-L ), Gazprom CEO Alexey Miller (3-L) and Former German Chancellor and Chairman of the Nord Stream shareholders' committee Gerhard Schroeder (4-R) attend a ceremony of the Nord Stream gas pipeline launch at the Portovaya compressor station's dispatch center outside Vyborg, a city 130 km northwest of St. Petersburg, Russia 06 September 2011. Gazprom on Tuesday started pumping gas into the first line of the Nord Stream gas pipeline which links Russian and German coasts via the Baltic sea bed. Nord Stream consists of two 1,224 km natural gas pipelines. When fully operational in the last quarter of 2012, the twin pipeline system will supply 55 billion cubic metres (bcm) of Russian gas a year to the EU. EPA/ALEXEY NIKOLSKY MANDATORY CREDIT / RIA NOVOSTI /*** NO SALES NO ARCHIVES NOT FOR USE AFTER 06 OCTOBER 2011*** ++ +++ dpa-Bildfunk +++

Putin kann uns empfindlich treffen, in die Knie zwingen kann er uns nicht

Deutschland droht infolge einer bewaffneten Auseinandersetzung das Gas auszugehen. Seit dem Ende der Berlin-Blockade vor 73 Jahren hat es solch eine Situation nicht mehr gegeben. Hohe Preise sind sicher, Produktions­ausfälle und eine Rezession möglich. Am Ende aber hat Deutschland mehr Kraft als Russland, kommentiert Andreas Niesmann.

In Branchenkreisen gibt es große Zweifel, dass die alternative Rohölversorgung der Raffinerie im brandenburgischen Schwedt über Rostock bewerkstelligt werden kann. „Wenn, dann maximal zu 60 Prozent und damit ist das Werk nicht wirtschaftlich zu betreiben“, sagte ein Vertreter eines Wirtschaftsverbandes. Es sei jeden Monat mit einer zweistelligen Millionensumme an Verlusten zu rechnen, die der Staat kompensieren müsse. Zudem gebe es Probleme mit neuen Ölsorten, da Schwedt technisch auf die Verarbeitung des schwefelhaltigen russischen Rohöls ausgerichtet sei.

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Habeck betonte indes: „Die Versorgungssicherheit ist gewährleistet.“ Die Umstellungen bei der Rohölbeschaffung seien vorbereitet und die Gespräche mit der polnischen Seite weit fortgeschritten. Unter anderem gilt eine enge Kooperation mit, oder sogar eine Übernahme der Raffinerie durch den polnischen Ölkonzern Orlen als denkbar. Von Scholz und Habeck war dazu am Freitag nichts Konkretes zu hören. Beide betonten lediglich, dass eine Ertüchtigung der Rostock-Schwedt-Pipeline angegangen werde. Doch das wird dauern.

Keiner will mehr mit Rosneft zu tun haben

Deshalb blieb unklar, wie die erforderlichen Rohölmengen kurzfristig herbeigeschafft werden sollen. Es kursieren bereits Spekulationen, dass die Spritpreise in Ostdeutschland die Höhe schießen könnten. In Branchenkreisen gibt es denn auch große Zweifel: Es sei jeden Monat mit einer zweistelligen Millionensumme an Verlusten zu rechnen, die der Staat kompensieren müsse. Zudem gebe es Probleme mit neuen Ölsorten, da Schwedt auf die Verarbeitung des schwefelhaltigen russischen Rohöls ausgerichtet sei.

Laut Nachrichtenagentur Reuters spielen Mineralölfirmen bereits eine Art Notfallszenario durch: Rohöl könnte mit mutmaßlich Hunderten von Tanklastwagen von den Häfen zu den Raffinerien transportiert werden. Über die Autobahn sind es von Rostock nach Schwedt etwa 250 Kilometer. Mehr als 800 Kilometer müssten die Tankwagen zurücklegen, um von Danzig nach Leuna zu kommen. Das Rohöl dürfte neben den USA mutmaßlich aus Norwegen, dem Nahen Osten und Westafrika kommen. Der Betreiber von Leuna, der französische Total-Konzern, hat sich bereits gut zur Hälfte von russischen Lieferungen unabhängig gemacht. Offenbar wird auch darüber verhandelt, Öl aus Kasachstan in die Uckermark zu bringen.

Die Bundesregierung begründete die Treuhandregelung damit, dass die „Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs der betroffenen Raffinerien aufgrund der Eigentümerstellung der Unternehmen in Gefahr war“. Im Klartext: Niemand wollte mehr mit Rosneft Geschäfte machen. Das gilt für Zulieferer und Versicherungen genauso wie für IT-Firmen und Banken.

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Erdölraffinerie auf dem Industriegelände der PCK-Raffinerie GmbH.

Erdölraffinerie auf dem Industriegelände der PCK-Raffinerie GmbH.

Obwohl der russische Ölkonzern bislang von Sanktionen noch gar nicht betroffen ist. Die Ex-Partner der Russen gehen aber auch Nummer sicher – Insider sprechen von Overcompliance, also einer Übererfüllung der staatlichen Restriktionen. Vorbild für das Rosneft-Manöver war die Treuhänderschaft über die hiesigen Ableger des Gasmonopolisten Gazprom.

Gigantische Gewinne für Schwedt und Leuna

Derweil haben die Betreiber der beiden Raffinerien in den vergangenen Wochen nie dagewesene Gewinne eingefahren – wegen des russischen Öls. Nach einer komplexen Formel wird der Preis für das sibirische Öl berechnet, der um etwa 35 Dollar pro Fass (159 Liter) unter der Notierung der für Europa maßgeblichen Referenzsorte Brent liegt.

Wobei zu bedenken ist, dass auch Anlagen, die zum Brentpreis einkaufen müssen, zuletzt Rekordgewinne eingefahren haben. Nach Reuters-Berechnungen konnten in Leuna und Schwedt Gewinne von 12 bis knapp 17 Millionen Dollar eingefahren werden – pro Tag wohlgemerkt. Das sind gut 8 Millionen mehr als in einer westdeutschen Raffinerie. Brentöl hat sich in den vergangenen Wochen spürbar verbilligt kostete am Freitag um die 86 Dollar pro Fass, das war aber immer noch deutlich mehr war als zu Jahresbeginn.

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Der Kreml reagierte am Freitag zunächst nicht auf den Schritt der Bundesregierung, der einer zumindest vorübergehenden Enteignung gleichkommt. Experten in Wirtschaftsverbänden fürchten, dass die Russen sofort die Belieferung von Schwedt mit Rohöl einstellen werden. Das Engagement in den drei deutschen Raffinerien sei Rosneft-Chef Igor Setschin immer besonders wichtig gewesen, von daher könne die Reaktion entsprechend heftig ausfallen.

Putin hat bereits mehrfach gedroht, die Energielieferungen nach Europa komplett einzustellen. Das könnte die Energiepreise erneut nach oben katapultieren. Ein Totalembargo würde beim Öl vor allem die EU-Binnenländer Ungarn, Slowakei und Tschechien treffen, die von russischen Lieferungen nach wie vor komplett abhängig sind und deshalb auch beim Boykott nicht mitmachen – sie verfügen über keine Seehäfen, über die der Rohstoff angelandet werden kann.

Auf dem Gelände des Elbehafens in Brunsbüttel soll ein schwimmendes Terminal zum Entladen von LNG gebaut werden.

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Künftig eine Raffinerie für E-Kerosin

Wie geht es in Schwedt weiter? Scholz betonte, ein Paket mit einem Volumen von mehr als einer Milliarde Euro sei geschnürt worden, es soll den Standort sichern und einen Strukturwandel finanzieren. Woidke ergänzte, eine der Ideen sei, ein Umbau der Raffinerie zu einem Standort für die Erzeugung von grünem Kerosin. Der Standort bietet sich an, weil in der Region viele Windmühlen stehen, die Ökostrom erzeugen, mit dem grüner Wasserstoff erzeugt wird, der zu klimaneutralem Treibstoff für Flugzeuge weiterverarbeitet werden kann.

Von der CDU kommt Kritik an der Regierung: „Es ist wie immer bei Robert Habeck: Er zögert. Er zaudert, verschleppt. Er kommt zu spät. Und entscheidet sich dann für die schlechtere Variante“, sagte Gitta Connemann, Vorsitzende Mittelstands- und Wirtschaftsunion. Jetzt müsse der Steuerzahler für Rosneft Deutschland geradestehen. Dabei habe es in der Privatwirtschaft großes Interesse an der Übernahme des Unternehmens gegeben. „Auch die strategisch wichtige PCK-Raffinerie in Schwedt wollten mehrere Energieunternehmen aufkaufen. All diese Chancen wurden einfach vertan.“

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