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Suche nach Ersatz für russische Rohstoffe: Alles für die Kohle?

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Riesige Frachtschiffe bringen die Kohle aus Kolumbien zu den Hauptmärkten in Europa.
Riesige Frachtschiffe bringen die Kohle aus Kolumbien zu den Hauptmärkten in Europa. © picture alliance / Cerrejon/dpa

Die Suche nach Ersatz für russische Rohstoffe bedroht Menschenrechte in anderen Ländern. Das Bündnis für ein Lieferkettengesetz warnt davor – und fordert eine EU-weite Regulierung.

Für das Geschäft mit Kohle aus Kolumbien war der 6. April ein Tag mit großer Signalwirkung. Die Behörden des südamerikanischen Landes gaben grünes Licht für die Umleitung des Flusses Bruno, die das Bergbauunternehmen Cerrejón beantragt hatte. Für die Tochter des Schweizer Konzerns Glencore die lang ersehnte Erlaubnis, die Cerrejón-Mine in der Region La Guajira weiter auszubeuten.

Die Zustimmung zur Sprengung des Flussbettes erfolgte noch am selben Tag, an dem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) mit dem kolumbianischen Staatspräsidenten Iván Duque telefoniert hatte, um über zusätzliche Kohlemengen als Ersatz für Lieferungen aus Russland zu verhandeln. Der rechtskonservative Staatschef jubilierte danach im US-Sender CNN: „Kolumbien kann heute unverzüglich den Kohleabbau steigern. Wir haben eine der größten Kohlereserven der Welt und nutzen sie nicht für die Energiegewinnung.“

Dabei hatte das Verfassungsgericht Kolumbiens 2017 die Genehmigung zur Umleitung des Bruno nach Klagen von Anrainergemeinden suspendiert. Die argumentierten, das Projekt gefährde den tropischen Regenwald und die Wasserversorgung des indigenen Volkes der Wayúu. Das oberste Gericht in Bogotá ordnete an, die Wayúu angemessen zu konsultieren, und verlangte eine umfassende Abschätzung der ökologischen und sozialen Folgen der forcierten Förderung von Steinkohle in einer der weltgrößten Minen.

Menschenrechte: Gegner des Bergbaus in Kolumbien bedroht

Eine angemessene Anhörung und Beteiligung der Indigenen-Gemeinden hat es nach Angaben des kolumbianischen Anwaltskollektivs José Alvear Restrepo (Cajar) – eine Partnerorganisation des katholischen Hilfswerkes Misereor – bislang nicht gegeben. Und auch die vorgelegte Folgenabschätzung stütze sich weitgehend auf Analysen und Empfehlungen des Bergbauunternehmens Cerrejón, heißt es in einem Briefing der deutschen Initiative Lieferkettengesetz. Demnach wurde die Familie des indigenen Bergbaugegners Misael Socarras nach der Entscheidung am 6. April sogar wiederholt von bewaffneten Männern eingeschüchtert.

Für das rund 130 Entwicklungs-, Menschenrechts- und Umweltorganisationen sowie Gewerkschaften und kirchliche Akteure umfassende Bündnis ist der Fall Cerrejón nur ein Beispiel für die akute Gefährdung von Menschenrechten, die von dem Run auf neue Rohstoffquellen in Folge des russischen Krieges gegen die Ukraine ausgeht.

Ohnehin werden im Zusammenhang mit Bergbau-Projekten weltweit immer wieder Menschenrechte verletzt. Die Abkehr von Russland als Lieferant von Steinkohle, Erdöl und metallischen Materialien könne die Lage jetzt noch verschärfen, warnte das Bündnis am Donnerstag in Berlin. „Indigene dürfen nicht zu den Leidtragenden der Sanktionen gegen Putin werden“ sagt Johannes Heeg, Sprecher der Initiative. Das Bündnis unterstütze zwar die beschlossenen Importstopps, doch dies dürfe nicht auf Kosten von Menschen und Umwelt in den Abbaugebieten geschehen. „Ein wirksames EU-Lieferkettengesetz ist dringender denn je“, forderte Heeg.

Menschenrechte: Wirtschaftslobby macht Front gegen Regulierung

Bislang sind deutsche und europäische Unternehmen nicht verpflichtet, in ihren Lieferketten auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards zu achten. Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz tritt erst von Januar 2023 an in Kraft und fällt nach Meinung der NGOs viel zu schwach aus, weil es unter anderem nur die größeren Firmen in die Pflicht nimmt und explizit keine zivilrechtliche Haftung für entstandene Schäden vorsieht. Auch Umweltstandards berücksichtige die deutsche Regulierung nur punktuell.

Brennstoff

El Cerrejon im Nordwesten Kolumbiens ist eine der größten Kohleminen der Welt. Der Brennstoff gehört wegen seines hohen Kohlenstoffanteils zu den besten der Welt. Der Tagebau der Glencore-Tochter verdrängt seit Jahren die umliegenden indigenen Dörfer und gräbt ihnen das Wasser ab. Mehrfach hat das kolumbianische Verfassungsgericht festgestellt, dass die Menschenrechte auf Nahrung, Wasser, Gesundheit und eine angemessene Beteiligung von Anliegergemeinden bei der Ausweitung der Kohleförderung missachtet werden. Zu den Abnehmern der Steinkohle von El Cerrejon gehören auch die deutschen Stromerzeuger Steag und EnBW.

Die EU-Kommission hatte im Februar einen ersten Entwurf für ein EU-Lieferkettengesetz vorgelegt. Der fällt in Teilen zwar schärfer als die deutsche Gesetzgebung aus. Allerdings monieren zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen noch immer „viele Schlupflöcher“, durch die sich Firmen aus der Verantwortung ziehen könnten.

„Wenn Unternehmen sich jetzt neue Lieferketten aufbauen, muss die EU mit einem Lieferkettengesetz sicherstellen, dass Umwelt und Menschenrechte wirksam geschützt werden“, sagt Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer des katholischen Hilfswerkes Misereor.

Dagegen gibt es aber Widerstand von Wirtschaftsverbänden und aus Kreisen der Union. Dafür werde jetzt sogar der Krieg gegen die Ukraine instrumentalisiert, kritisiert das Bündnis. So forderte Manfred Weber (CSU), Vorsitzender der Europäischen Volkspartei, schon im März EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einem Schreiben auf, ein EU-Lieferkettengesetz zu vertagen, „bis die Auswirkungen der Krise vollständig bekannt sind“.

Und Gitta Connemann, Chefin der Wirtschafts- und Mittelstandsunion (MIT), moniert: „Ausgerechnet jetzt wollen Deutschland und die EU die Lieferketten schärfer kontrollieren, während gleichzeitig in Osteuropa die Panzer rollen“. Reißende Lieferketten, Engpässe und eine massive Verteuerung von Energie infolge des Krieges ließen das nicht zu, so Connemann.

Den Preis für die Folgen der Rohstoffkrise dürften keineswegs die Menschen in den Abbauländern zahlen, die jetzt als Lieferanten in den Blick geraten, fordert die Allianz der NGOs. Auch potenzielle Herkunftsstaaten für Erdöl wie Nigeria, Kasachstan und die Vereinigten Arabischen Emirate seien für schwere Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen bekannt, warnt das Bündnis.

Menschenrechte: Umstrittenes Erdöl-Projekt in Uganda

Aktuell umstritten ist auch das Tilenga-Projekt in Uganda in der Region des Albertsees, mit dem der Energiekonzern Total im großen Stil Öl fördern will. Eine Mega-Pipeline soll den Schmierstoff der Weltwirtschaft rund 1400 Kilometer weiter bis in die tansanische Hafenstadt Tanga transportieren. Von Ölförderung und Pipeline sind nach Angaben von Total rund 100.000 Menschen betroffen, die umgesiedelt und angemessen entschädigt werden müssten. Die Ölleitung würde ökologisch wertvolle Feuchtgebiete durchqueren und Lebensräume von Elefanten, Nilpferden und Krokodilen zerstückeln, kritisieren Umweltverbände.

Was Ölförderung und Pipeline-Lecks anrichten können, zeigt das Beispiel von Shell in Nigeria. Dort verseuchte der Energiekonzern in den 1970er Jahren im Nigerdelta Fischgründe und landwirtschaftliche Flächen des Ogoni-Volkes. Erst nach jahrelangem juristischem Kampf für eine Entschädigung verurteilte ein niederländisches Berufungsgericht den Öl-Multi im Januar 2021 dazu, betroffenen Dörfern zum Ausgleich für die Umweltkatastrophe 95 Millionen Euro zu zahlen.

Ein wirksames EU-Lieferkettengesetz würde dazu beitragen, dass Unternehmen künftig frühzeitig Risiken für Menschenrechte und Umwelt erkennen, zeigt sich das Bündnis überzeugt. Der Blick auf die Alternativen zu russischen Rohstoffen mache deutlich, dass Materialien aus ökologisch und menschenrechtlich vertretbarem Abbau „ein äußerst knappes Gut“ seien. Oberstes Gebot einer grundlegenden sozial-ökologischen Wirtschaft müsse deshalb eine drastische Senkung des Verbrauchs energetischer wie auch metallischer Rohstoffe sein. (Tobias Schwab)

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