WELT: Herr Linnemann, die CDU hat die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verloren. Woran lag es?
Carsten Linnemann: Die Gründe liegen für mich ganz klar im Corona-Management der Regierung. Die anhaltenden Probleme bei der Impfstoffverteilung lassen die Menschen verzweifeln. Die CDU muss jetzt endlich beweisen, dass sie Corona-Management kann.
Die Maskenaffäre war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Doch es greift zu kurz, das schlechte Wahlergebnis lediglich darauf zurückzuführen.
WELT: Was muss die Regierung in der Corona-Politik besser machen?
Linnemann: Sie muss jetzt umschalten von einer Strategie der Risikovermeidung zu einem Risikomanagement. Dazu hätte man bereits den Sommer nutzen müssen, um sich auf die nächste Infektionswelle vorzubereiten. Das ist nicht geschehen. Zudem haben wir jetzt Impfdosen herumliegen und schaffen es nicht, sie zu verimpfen.
WELT: Für den neuen Parteichef Armin Laschet sind die verlorenen Landtagswahlen kein guter Start. Wie bewerten Sie seine Performance in den ersten Wochen als Vorsitzender?
Linnemann: Es wäre falsch, ihm die Niederlage in die Schuhe zu schieben. Er ist noch nicht einmal 60 Tage im Amt. Ich finde seinen Start gut. Er hat klare Ansagen gemacht, ob zum Erhalt der Schuldenbremse oder mit seiner Warnung vor einer einseitigen Fokussierung auf Inzidenzzahlen beim Stufenplan.
Das Problem greift tiefer. Wir haben von den letzten 22 Landtagswahlen 21 verloren. Das ist eine katastrophale Entwicklung. Wir müssen uns als Partei von der Regierung emanzipieren. Wer so lange Regierungsverantwortung trägt wie unsere Partei, wird unweigerlich träge. Wir müssen uns jetzt wieder in eine lebendige, agile Partei verwandeln, die mit einer starken Programmatik Lust auf Zukunft macht.
WELT: Welche inhaltliche Stoßrichtung muss Laschet Ihrer Partei jetzt geben? Bislang hat er sich vor allem um den Zusammenhalt in der CDU und die Stabilisierung seiner Position gekümmert.
Linnemann: Armin Laschet muss jetzt ein klares Zeichen setzen, dass es so nicht weitergehen kann. Corona hat sehr viele Schwachstellen offengelegt. Es gibt systemische Mängel, es herrscht geradezu ein groteskes Zuständigkeitswirrwarr, das niemand mehr durchschauen kann.
Wir müssen den Reset-Knopf drücken und in vielen Bereichen einen Neuanfang wagen. Von der Neuaufteilung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern bis hin zur Verwaltungsdigitalisierung.
WELT: Die Maskenaffäre hat dem Vertrauen in die Unionsparteien geschadet. Wie wollen Sie dieses Vertrauen zurückgewinnen?
Linnemann: Durch Klarheit und knallhartes Durchgreifen. Wir wollen bezahlte Tätigkeiten als Interessenvertreter für einen Dritten gegenüber der Bundesregierung oder im Bundestag verbieten, Parlamentariern die Entgegennahme von Geldspenden unterbinden und Abgeordnetenbestechung oder -bestechlichkeit als Verbrechen und nicht mehr als Vergehen ahnden.
WELT: In den vergangenen Jahren hatte die Union verschiedene Vorschläge der Opposition für schärfere Regeln bei Nebentätigkeiten immer abgelehnt.
Linnemann: Bei den Nebentätigkeiten muss man differenzieren. Es gibt gute Gründe, nicht zu überziehen. Ansonsten laufen wir Gefahr, dass wir in Zukunft keine Landwirte oder Freiberufler mehr im Bundestag haben. Doch ich bin der Überzeugung, dass man etwa von neuen vergüteten Aufsichtsratsmandaten Abstand nehmen muss, wenn man bereits im Bundestag sitzt. Bundestagsabgeordnete sollten zudem meiner Meinung nach keine Honorare für Reden, Artikel oder Bücher annehmen dürfen.
WELT: Welches Signal geht vom Wahlabend für die Kanzlerkandidatur der Union aus?
Linnemann: Gar keins. Armin Laschet hat weiterhin die besten Chancen, als Kanzlerkandidat für die Union in den Bundestagswahlkampf zu ziehen.
WELT: Für die Grünen hätte es heute kaum besser laufen können. Wie wollen Sie einen Durchmarsch zur Bundestagswahl aufhalten?
Linnemann: Herr Kretschmann ist eine starke Persönlichkeit und für mich auch ein Konservativer. Ich freue mich darüber, dass es doch nicht nur um Hetze und Polemisierung geht, sondern dass die Menschen immer noch Beständigkeit, Ruhe in der Entscheidung und langfristiges Denken honorieren, egal von welcher Partei man kommt. Das ist eigentlich die Stärke der Union.
Aus Baden-Württemberg sollten wir den Schluss ziehen, uns wieder auf unsere ureigensten Prinzipien zu konzentrieren. Dann werden wir erfolgreich sein.